Unautorisierte Übersetzung.

Europarat

Ministerkomitee

EMPFEHLUNG NR. R (2001)19

DES MINISTERkomitees AN DIE MITGLIEDSTAATEN

ZUR BÜRGERBETEILIGUNG AM KOMMUNALEN ÖFFENTLICHEN LEBEN

     

Das Ministerkomitee, im Einklang mit Artikel 15.b der Satzung des Europarats,

in der Erwägung, dass es das Ziel des Europarats ist, zwischen seinen Mitgliedern eine größere Einheit herzustellen, um die Ideale und Prinzipien, die ihr gemeinsames Erbe darstellen, zu schützen und zu verwirklichen, und ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern;

in der Erwägung, dass die Beteiligung der Bürger das Herzstück des demokratischen Gedankens darstellt und dass Bürger, die sich demokratischen Werten verpflichtet fühlen, sich ihrer staatsbürgerlichen Pflichten bewusst sind und sich politisch betätigen, der Lebensnerv jedes demokratischen Systems sind;

in der Überzeugung, dass die kommunale Demokratie einen der Eckpfeiler der Demokratie in den europäischen Ländern darstellt und ihre Stärkung zur Stabilität beiträgt;

in Anbetracht des Umstands, dass die kommunale Demokratie in einem neuen, schwierigen Umfeld bestehen muss, das sich nicht nur aus strukturellen und funktionalen Veränderungen kommunaler Organisationsformen, sondern auch aus den in Europa stattfindenden tiefgreifenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen sowie aus dem Prozess der Globalisierung ergibt;

im Bewusstsein, dass sich die Erwartungen der Allgemeinheit weiterentwickeln, dass sich die Formen der Kommunalpolitik ändern und dass dies direktere, flexiblere und ad hoc einsetzbare Methoden der Bürgerbeteiligung erfordert;

in der Erwägung, dass unter bestimmten Umständen das allgemeine Vertrauen, das die Bürger in ihre gewählten Institutionen setzen, abgenommen hat und dass staatliche Institutionen daher zur Wahrung der Legitimität von Entscheidungsprozessen neue Wege finden müssen, um sich auf die Allgemeinheit wieder stärker einzulassen und auf deren Wünsche einzugehen;

in der Erkenntnis, dass zur Förderung des Bürgerbeteiligung ein breites Spektrum von Maßnahmen zur Verfügung steht und sich diese den jeweiligen Umständen anpassen lassen, die auf kommunaler Ebene bestehen;

in der Erwägung, dass das Mitspracherecht der Bürger bei wichtigen Entscheidungen, die langfristige Verpflichtungen zur Folge haben oder nur schwer umkehrbar sind und die Mehrheit der Bürger betreffen, eines der demokratischen Prinzipien darstellt, die allen Mitgliedstaaten des Europarats gemeinsam sind;

in der Erwägung, dass dieses Recht am unmittelbarsten auf kommunaler Ebene ausgeübt werden kann und demzufolge Schritte eingeleitet werden sollten, damit die Bürger an der Gestaltung kommunaler Angelegenheiten unter Wahrung der hierbei notwendigen Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit unmittelbarer beteiligt werden;

unter Bekräftigung seiner Überzeugung, dass die repräsentative Demokratie Teil des gemeinsamen Erbes der Mitgliedstaaten und Basis für die Beteiligung der Bürger am öffentlichen Leben auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene ist;

in der Erwägung, dass der Dialog zwischen den Bürgern und den gewählten kommunalen Vertretern für die kommunale Demokratie von wesentlicher Bedeutung ist, da hierdurch die Legitimität der kommunalen demokratischen Institutionen und die Wirksamkeit ihrer Tätigkeit gestärkt werden;

in der Erwägung, dass die kommunalen Gebietskörperschaften im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip bei der Förderung der Bürgerbeteiligung eine führende Rolle spielen und übernehmen müssen, und dass der Erfolg jeder „Politik zur kommunalen demokratischen Bürgerbeteiligung“ von ihrem Engagement abhängt;

unter Berücksichtigung der Empfehlung Nr. R (81) 18 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zur Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene und in der Erwägung, dass die seit deren Verabschiedung eingetretenen Veränderungen ihre Ersetzung durch die vorliegende Empfehlung rechtfertigen;

unter Berücksichtigung der Stellungnahme 232(2001) der Parlamentarischen Versammlung;

unter Berücksichtigung der Stellungnahme 15(2001) des Kongresses der Gemeinden und Regionen Europas und der einschlägigen Texte des Kongresses;

empfiehlt, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten

1.                  unter Einbeziehung der kommunalen und ggf. regionalen Gebietskörperschaften die Rahmenbedingungen für eine Politik festlegen, mit der die Bürgerbeteiligung am kommunalen öffentlichen Leben auf der Grundlage der Europäischen Charta über kommunale Selbstverwaltung, die am 15. Oktober 1985 als internationaler Vertrag angenommen und seitdem von der überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten des Europarats ratifiziert wurde, sowie der in Anhang I dieser Empfehlung genannten Prinzipien gefördert wird;

2.         im Rahmen der solchermaßen bestimmten Politik und unter Berücksichtigung der in Anhang II dieser Empfehlung aufgeführten Maßnahmen die in ihrer Befugnis liegenden Maßnahmen ergreifen, insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung des rechtlichen Rahmens für die Bürgerbeteiligung, wobei sie für nationale Rechtsvorschriften sorgen, auf deren Grundlage die kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften gem. Abs. 1 der Empfehlung No. R (2000) 14 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zu örtlichen Steuern, Finanzausgleich und Zuweisungen an die Kommunen eine breite Palette von Instrumenten zur Bürgerbeteiligung einsetzen können;

3.         die kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften in geeigneter Form auffordern,

          sich die in Anhang I dieser Empfehlung enthaltenen Prinzipien zu eigen zu machen und sich zu einer wirksamen Umsetzung der Politik zur Förderung der Bürgerbeteiligung am kommunalen öffentlichen Leben zu verpflichten;

           die örtlichen Vorschriften und praktischen Regelungen zur Bürgerbeteiligung am kommunalen öffentlichen Leben zu verbessern und unter angemessener Berücksichtigung der in Anhang II dieser Empfehlung aufgeführten Maßnahmen alle in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden sonstigen Maßnahmen zur Förderung der Bürgerbeteiligung zu treffen;

4.         die vorliegende Empfehlung in die Amtssprache(n) ihrer jeweiligen Länder übersetzen lassen und sie in der nach ihrem Dafürhalten geeigneten Weise veröffentlichen und den kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften zur Kenntnis bringen

beschließt, dass diese Empfehlung die Empfehlung Nr. R (81) 18 zur Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene ersetzt.


ANHANG I

 

GRUNDPRINZIPIEN EINER POLITIK DER KOMMUNALEN, DEMOKRATISCHEN BÜRGERBETEILIGUNG

 

1.              Gewährleistung des Rechts der Bürger, zu klaren, umfassenden Informationen über die verschiedenen Angelegenheiten, die für ihre örtliche Gemeinschaft von Belang sind, Zugang zu erhalten und an wichtigen Entscheidungen, welche deren Zukunft betreffen, mitzuwirken.

2.              Erschließung neuer Wege zur Stärkung des staatsbürgerlichen Verantwortungsgefühls und zur Förderung einer den Bürgern und kommunalen Gebietskörperschaften gemeinsamen Kultur einer demokratischen Beteiligung.

3.             Entwicklung eines Bewusstseins der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und Ermutigung der Bürger ihre Verantwortung, am Leben ihrer Gemeinde mitzuwirken, wahrzunehmen.

4.                 Einräumung eines erheblichen Stellenwerts für die Kommunikation zwischen staatlichen Stellen und Bürgern und Unterstützung der örtlich Verantwortlichen wenn es darum geht, die Bedeutung der Beteiligung der Bürger hervorzuheben sowie ihre Forderungen und Erwartungen sorgfältig zu berücksichtigen, damit auf die von ihnen geäußerten Bedürfnisse angemessen eingegangen werden kann.

5.                 Verfolgung eines umfassenden Ansatzes in der Frage der Bürgerbeteiligung, sowohl unter Berücksichtigung des Systems der repräsentativen Demokratie als auch der Formen einer direkten Beteiligung am Entscheidungsprozess und an der Gestaltung kommunaler Angelegenheiten.

6.                  Vermeidung übermäßig starrer Lösungen und Ermöglichung der Beschreitung neuer Wege, so dass der Schwerpunkt eher auf der Schaffung von Voraussetzungen als auf der Festlegung von Regeln liegt; daher Bereitstellung eines breiten Spektrums an Beteiligungsinstrumenten und – je nach den Umständen – Einräumung der Möglichkeit ihrer Kombination und der Anpassung ihrer Nutzungsart.

7.              Zunächst eingehende Bewertung der Situation bei der kommunalen Bürgerbeteiligung, Festlegung geeigneter Vergleichskennzahlen und Einführung eines Beobachtungssystems zur Erfassung der Änderungen, damit die Ursachen für positive bzw. negative Trends bei der Bürgerbeteiligung festgestellt und die Wirkung der eingesetzten Mechanismen bewertet werden können.

8.            Ermöglichung des Informationsaustauschs zwischen und innerhalb der einzelnen Länder über die praktikabelsten Lösungen zur Bürgerbeteiligung, gegenseitige Unterstützung der Lernprozesse der kommunalen Gebietskörperschaften über die Wirksamkeit der verschiedenen Beteiligungsmethoden und Gewährleistung der vollen Unterrichtung der Allgemeinheit über das gesamte Spektrum der verfügbaren Möglichkeiten.

9.              Besondere Berücksichtigung derjenigen Gruppen von Bürgern, die mit einer aktiven Beteiligung größere Schwierigkeiten haben oder vom kommunalen öffentlichen Leben de facto ausgeschlossen sind.

10.             Anerkennung der Bedeutung einer fairen Vertretung von Frauen in der Kommunalpolitik.

11.             Anerkennung des Potenzials von Kindern und Jugendlichen für die nachhaltige Entwicklung örtlicher Gemeinschaften und Unterstreichung der Rolle, die sie dabei spielen können.

12.              Anerkennung und Unterstreichung der Rolle von Verbänden und Bürgergruppierungen als entscheidende Partner bei der nachhaltigen Entwicklung einer Beteiligungskultur und als Triebkraft der praktischen Anwendung einer demokratischen Beteiligung.

13.              Gewinnung der Mitarbeit von Gebietskörperschaften auf allen Ebenen, wobei jede Gebietskörperschaft für die Ergreifung geeigneter Maßnahmen in ihrem Zuständigkeitsbereich im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip selbst verantwortlich ist.

ANHANG II

SCHRITTE UND MASSNAHMEN ZUR FÖRDERUNG UND VERSTÄRKUNG DER BÜRGERBETEILIGUNG AM KOMMUNALEN ÖFFENTLICHEN LEBEN

A.             Allgemeine Schritte und Maßnahmen

1.  Überprüfung der Frage, ob in der heutigen komplexen und zunehmend von der Globalisierung geprägten Welt die Wichtigkeit kommunaler Maßnahmen und Entscheidungsprozesse der Allgemeinheit durch die Verdeutlichung der Kernaufgaben von kommunalen Behörden in einem sich ändernden Umfeld ausreichend klar gemacht wird.

2.              Angemessene Unterstreichung dieser Aufgaben und bei Bedarf Überprüfung der Frage, ob das Machtgleichgewicht auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene so ausgestaltet ist, dass kommunale Gebietskörperschaften und gewählte Vertreter mit ausreichend Kompetenzen für lokale Maßnahmen ausgestattet sind, um die notwendigen Anreize und die erforderliche Motivation für eine Beteiligung der Bürger geben zu können. Hierbei Nutzung jeder sich bietenden Gelegenheit zur Dezentralisierung der Aufgaben, z.B. Übertragung der Zuständigkeit für Schulen, Tagesstätten und sonstige Einrichtungen für Kinder, für Seniorenheime, Krankenhäuser und Gesundheitszentren, für Sport- und Freizeitzentren, Theater, Büchereien usw.

3.              Verbesserung der staatsbürgerlichen Bildung und Ergänzung der Schul- und Ausbildungslehrpläne um das Ziel einer Förderung des Bewusstseins für die Verantwortung, die jedem Einzelnen in der demokratischen Gesellschaft zukommt,  insbesondere innerhalb der örtlichen Gemeinschaft, sei es als gewählter Vertreter, Kommunalverwaltungsfachmann, Beamter oder einfacher Bürger.

4.              Veranlassung der kommunalen gewählten Vertreter und kommunalen Gebietskörperschaften mit Hilfe aller geeigneten Mittel einschließlich der Aufstellung von Verhaltensregeln zu einem Verhalten, das hohen ethischen Maßstäben entspricht, sowie Gewährleistung der Einhaltung dieser Maßstäbe.

5.              Einführung einer größeren Transparenz der Arbeit kommunaler Institutionen und Behörden, insbesondere durch

i.              Offenheit des kommunalen Entscheidungsprozesses (Veröffentlichung der Tagesordnungen von Sitzungen des Gemeinderats oder kommunaler Exekutivorgane; Zulassung der Öffentlichkeit zu Gemeinderats- und Ausschuss-Sitzungen; Fragestunden, Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle und Entscheidungen usw.);

ii.                  Gewährleistung und Erleichterung des Zugangs aller Bürger zu Informationen über örtliche Angelegenheiten (Einrichtung von Auskunftsstellen, Dokumentationszentren, öffentlichen Datenbanken; Einsatz der Informationstechnologie; Vereinfachung administrativer Formalitäten und Senkung der Kosten von Dokumentenkopien usw.);

iii.              Bereitstellung ausreichender Informationen zu Verwaltungsgremien und deren Organisationsstruktur sowie Unterrichtung unmittelbar betroffener Bürger über den Fortgang laufender Verfahren sowie darüber, wer hierfür jeweils zuständig ist.

6.              Umsetzung einer umfassenden Kommunikationspolitik, damit die Bürger die Möglichkeit haben, die wichtigsten Belange der Gemeinde und die wesentlichen politischen Entscheidungen, die deren Organe treffen sollen, besser nachzuvollziehen, und Unterrichtung der Bürger über die Möglichkeiten und Formen einer Beteiligung am kommunalen öffentlichen Leben.

7.              Entwicklung einer Form von Nachbarschaftsdemokratie sowohl in den bevölkerungsstärksten städtischen Ballungsräumen als auch in ländlichen Gegenden, um den Bürgern mehr Einfluss in ihrem örtlichen Umfeld und bei den kommunalen Aktivitäten in den verschiedenen Bereichen der Gemeinde zu verschaffen. Konkret bedeutet dies die

i.              Einrichtung von Gremien unterhalb der Gemeindeebene, die gewählt oder ggf. aus gewählten Vertretern zusammengesetzt sind und denen Beratungs- und Informationsaufgaben oder auch Exekutivbefugnisse übertragen werden;

ii.              Einrichtung von Verwaltungsstellen unterhalb der Gemeindeebene, um die Kontakte zwischen Kommunalbehörden und Bürgern zu erleichtern;

iii.              Festlegung eines integrierten Vorgehens für die Organisation und Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen in jedem Bereich auf der Grundlage der Bereitschaft, den Bürgern zuzuhören und auf die von ihnen geäußerten Wünsche zugehen;

iv.              Aufforderung von Anwohnern zu einer – unmittelbaren oder über Nachbarschaftsvereinigungen erfolgenden – Beteiligung an der Gestaltung und Umsetzung von Projekten mit unmittelbarem Einfluss auf ihr Umfeld, z.B. die Einrichtung und Pflege von Grünflächen und Spielplätzen, die Bekämpfung der Kriminalität, die Einrichtung von Betreuungs-/Selbsthilfeeinrichtungen (Kindertagesstätten, Seniorenheime usw.).

B.              Schritte und Maßnahmen zur Beteiligung an Kommunalwahlen und am System der repräsentativen Demokratie

1.              Überprüfung der Funktionsfähigkeit kommunaler Wahlsysteme zur Beantwortung der Frage, ob irgendwelche grundsätzlichen Mängel vorliegen oder Abstimmungsregeln gelten, die bestimmte Bevölkerungsteile von der Stimmabgabe abhalten könnten, und ob diese Mängel abgestellt bzw. diese Regeln geändert werden können.

2.              Bemühungen um Erhöhung der Wahlbeteiligung. Erforderlichenfalls Durchführung von Informationskampagnen, um das Wahlverfahren zu erläutern sowie die Bürger generell aufzufordern, sich in die Wählerverzeichnisse eintragen zu lassen und an der Wahl teilzunehmen. Ebenfalls geeignet sein können Informationskampagnen, die sich an bestimmte Bevölkerungsgruppen richten.

3.              Überprüfung des Umfangs der Eintragungen in Wählerverzeichnisse und der Wahlbeteiligung um festzustellen, ob sich das allgemeine Wahlverhalten geändert hat oder es besondere Probleme bei bestimmten Bürgergruppen mit geringem Wahlinteresse gibt.

4.         Vor dem Hintergrund der Komplexität und Anforderungen moderner Lebensstile Prüfung von Maßnahmen wie die Stimmabgabe bequemer gestaltet werden kann, z. B. durch

i.                    Überprüfung der für Wahllokale geltenden Regelungen (Anzahl der Wahllokale, Erreichbarkeit, Öffnungszeiten usw.);

ii.             Einführung neuer Abstimmungsmöglichkeiten, die den Erwartungen der Bürger der einzelnen Mitgliedstaaten besser gerecht werden (Vorab-Wahl, Briefwahl, Stimmabgabe auf Poststellen, elektronische Stimmabgabe usw.);

iii.             Einführung spezieller Formen der Unterstützung (z.B. für Behinderte oder Analphabeten) oder sonstiger besonderer Wahlregelungen für bestimmte Wählergruppen (z.B. Stimmabgabe durch Bevollmächtigten, in der eigenen Wohnung, im Krankenhaus, in Kasernen oder in Justizvollzugsanstalten usw.);

5.         Bei Bedarf Durchführung (bzw. Zulassung) von Pilotversuchen für neue Formen der Stimmabgabe, damit die vorgesehenen Maßnahmen besser beurteilt werden können.

6.              Prüfung des Auswahlverfahrens für Kandidaten, die sich für ein öffentliches Amt zur Wahl stellen, wobei zu untersuchen ist,

i.          ob die Wähler in das Verfahren zur Aufstellung von Kandidaten einzubeziehen sind, z.B. durch Einführung der Möglichkeit unabhängiger Listen oder Einzelkandidaturen oder durch die Möglichkeit der Abgabe von einer oder mehreren Präferenz-Stimmen;

ii.         ob den Wählern ein größerer Einfluss auf die Wahl bzw. Berufung der kommunalen Verwaltungsspitzen eingeräumt werden soll; dies kann durch Direktwahl, verbindliche Volksentscheide oder sonstige Verfahren erreicht werden.

7.              Prüfung der mit der Pluralität von gewählten Ämtern zusammenhängenden Fragen, damit ggf. Maßnahmen zur Vermeidung von Ämterhäufungen ergriffen werden können, wenn dies eine ordnungsgemäße Ausübung der betreffenden Pflichten behindern oder zu Interessenskollisionen führen würde.

8.              Prüfung der Rahmenbedingungen für die Ausübung gewählter Ämter um festzustellen, ob spezielle Aspekte im Zusammenhang mit dem Status gewählter Kommunalvertreter oder die praktischen Regelungen für die Ausübung gewählter Ämter ein Engagement in der Politik erschweren könnten. Ggf. Prüfung von Maßnahmen, um diese Hindernisse zu beseitigen, insbesondere auch, um gewählte Vertreter in die Lage zu versetzen, ausreichend Zeit auf ihre Pflichten zu verwenden und bestimmte wirtschaftliche Nachteile für sie zu verhindern.

C.             Schritte und Maßnahmen zur Förderung einer direkten Beteiligung der Allgemeinheit am kommunalen Entscheidungsprozess und an der Gestaltung kommunaler Angelegenheiten

1.              Förderung des Dialogs zwischen den Bürgern und ihren gewählten Kommunalvertretern sowie Unterrichtung der Kommunalbehörden über die verschiedenen Verfahren für die Kommunikation mit der Allgemeinheit und die vielfältigen Möglichkeiten einer direkten Beteiligung der Allgemeinheit am Entscheidungsprozess. Das Bewusstsein hierfür kann durch die Erarbeitung von Richtlinien (z.B. in Form einer Charta für die Beteiligung der Öffentlichkeit auf kommunaler Ebene), die Veranstaltung von Konferenzen und Seminaren oder die Einrichtung einer sorgfältig gepflegten Website entwickelt werden, wo Beispiele vorbildlicher Verfahren eingestellt und abgerufen werden können.

2.         Durch Umfragen und Diskussionen Entwicklung eines Verständnisses für die Vor- und Nachteile der verschiedenen Instrumente der Bürgerbeteiligung beim Entscheidungsprozess sowie Förderung der Innovations- und Experimentierfreude von kommunalen Gebietskörperschaften bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit und deren engerer Einbeziehung in den Entscheidungsprozess.

3.              Ausschöpfung aller Möglichkeiten, insbesondere

i.          neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, wobei dafür zu sorgen ist, dass die Kommunen und sonstige staatliche Stellen (zusätzlich zu den herkömmlichen und nach wie vor wertvollen Mitteln wie förmlichen öffentlichen Bekanntmachungen oder amtlichen Mitteilungen) auch Gebrauch machen vom gesamten Spektrum der verfügbaren Kommunikationsmöglichkeiten (interaktive Websites, Sendungen über Mehrkanalrundfunk usw.),

ii.         mehr beratende Formen des Entscheidungsprozesses, d.h. mit Informations- und Meinungsaustausch z.B. in öffentlichen Bürgerversammlungen, Bürgerbeiräten und verschiedenen Arten von Foren, Gruppen, öffentlichen Ausschüssen mit beratender Funktion oder mit Vorschlagsrecht, runden Tischen, Meinungsumfragen, Nutzerbefragungen usw.

4.              Einführung bzw. erforderlichenfalls Verbesserung der Rechtsvorschriften zur Ermöglichung von

i.              Petitionen/Anträgen, Vorschlägen und Beschwerden, die von den Bürgern beim Gemeinderat oder bei Kommunalbehörden eingereicht werden;

ii.              Volksbegehren, in denen von den gewählten Vertretungen die Behandlung und Beantwortung der in dem Begehren genannten Fragen bzw. die Einleitung eines Volksentscheids verlangt wird;

iii.              Volksabstimmungen von befragendem Charakter bzw. verbindlichen Volksentscheiden in kommunalen Fragen, die von den Kommunen auf eigene Initiative oder auf Aufforderung durch die Bürger durchgeführt werden;

iv.              Möglichkeiten der Hinzuziehung von Bürgern zu Entscheidungsgremien einschließlich gewählter Vertretungen;

v.              Möglichkeiten zur Einbeziehung der Bürger in die Betriebsführung (Benutzerausschüsse, partnerschaftliche Entscheidungsgremien, direkte Abwicklung von Dienstleistungen durch Bürger usw.).

5.              Einräumung eines größeren Einflusses der Bürger auf die kommunale Planung und generell auf strategische und langfristige Entscheidungen; dies bedeutet konkret:

i.              Einräumung der Möglichkeit für die Bürger, insbesondere durch die Unterteilung des Entscheidungsprozesses in einzelne Phasen (z.B. Programm-Erstellung, Erarbeitung von Projekten und Alternativen, Umsetzung Haushalts- und Finanzplanung), sich in den verschiedenen Phasen dieses Prozesses aktiv an diesen Entscheidungen zu beteiligen;

ii.              Veranschaulichung des Planungsprozesses (d.h. jeder einzelnen Phase) mit Hilfe klarer, verständlicher Materialien, die der Öffentlichkeit ohne Weiteres zugänglich sind, wobei auch möglichst zusätzlich zu herkömmlichen Verfahren (Karten, maßstabsgetreue Modelle, audiovisuelles Material) andere Medien einzusetzen sind, die heute dank neuer Technologien (CD-ROM, DVD, für die Öffentlichkeit zugängliche elektronische Dokumentationsdatenbanken) verfügbar sind.   

6.            Entwicklung systematischer Rückmeldemechanismen zur Einbeziehung der Bürger in die Bewertung und Verbesserung kommunaler Entscheidungsabläufe

7.              Sicherstellung, dass die direkte Bürgerbeteiligung sich auf den Entscheidungsprozess real auswirkt, die Bürger über die Auswirkungen ihrer Beteiligung stets auf dem Laufenden gehalten werden und greifbare Ergebnisse für sie sichtbar sind. Eine Bürgerbeteiligung, die rein symbolisch ist oder lediglich der Legitimierung vorab festgelegter Entscheidungen dient, dürfte kaum die Unterstützung der Allgemeinheit finden. Allerdings müssen die Kommunalbehörden der Öffentlichkeit auch die Grenzen möglicher Formen einer direkten Beteiligung offen aufzeigen, um so übertriebenen Erwartungen über die Möglichkeiten vorzubeugen, mit deren Hilfe die unterschiedlichen Interessen in Einklang gebracht werden können, insbesondere wenn es um Entscheidungen zwischen konkurrierenden Interessen oder um die Zuteilung von Mitteln geht.

8.              Förderung des in vielen örtlichen Gemeinschaften vorhandenen Geistes der Bereitschaft zur Übernahme ehrenamtlicher Aufgaben, beispielsweise durch Bezuschussung oder sonstige Formen der Unterstützung von gemeinnützigen, ehrenamtlichen und gemeinschaftlichen Organisationen und Bürgerinitiativen oder durch die Herbeiführung von Verträgen oder Vereinbarungen zwischen diesen Organisationen und den Kommunen über die jeweiligen Rechte, Aufgaben und Erwartungen der Beteiligten, die ihre Beziehungen betreffen.

D.             Spezielle Schritte und Maßnahmen zur Förderung von Bürgergruppen, deren Beteiligung durch verschiedene Umstände erschwert wird

1.              Regelmäßige Erfassung von Daten zur Beteiligung der verschiedenen Gruppen von Bürgern um festzustellen, ob es Gruppen gibt wie z. B. Frauen, junge Menschen, sozial Schwache und bestimmte Berufsgruppen, die in gewählten Vertretungen unterrepräsentiert sind und/oder bei Wahlen oder direkten Formen der Bürgerbeteiligung eine geringe oder gar keine Rolle spielen.

2.              Festlegung bestimmter Zielgrößen für die Vertretung und/oder Beteiligung dieser Gruppen und Erarbeitung konkreter Maßnahmenkataloge, um die Chancen der betroffenen Bürgergruppen zu erhöhen, z.B. durch

i.              Einführung einer aktiven Kommunikations- und Informationspolitik für die betroffenen Bürgergruppen, ggf. auch spezielle Medienkampagnen, um die fraglichen Gruppen zu einer Beteiligung zu veranlassen (zu berücksichtigen sind dabei ein bestimmter Sprach-, Medien- und Kampagnenstil, der auf jede Gruppe speziell abzustimmen ist);

ii.             Einführung spezieller institutioneller Formen der Bürgerbeteiligung, die möglichst in Abstimmung mit den betroffenen Bürgergruppen, deren Einbeziehung veranlasst werden soll, konzipiert werden (es bestehen vielfältige Möglichkeiten, den speziellen Bedürfnissen bestimmter Gruppen zu entsprechen, z.B. verschiedene Formen von Versammlungen, Konferenzen oder Mitbestimmung);

iii.              Berufung amtlicher Vertreter, die sich speziell um Angelegenheiten kümmern, welche für die ausgeschlossenen Gruppen von Belang sind, wobei sie deren Forderungen nach Veränderungen an die zuständigen Entscheidungsgremien weiterleiten und die betreffenden Gruppen über die erzielten Fortschritte und die (positive oder negative) Antwort auf ihre Forderungen unterrichten.

3.              Insbesondere in Bezug auf Frauen

i.             Unterstreichung der Bedeutung einer ausgewogenen Vertretung von Frauen in Entscheidungsgremien und Prüfung von Regelungen, mit deren Hilfe die Vereinbarkeit von aktiver politischer Betätigung mit Familie und Berufsleben erleichtert werden könnte;

ii.         sofern rechtlich möglich Prüfung der Einführung verbindlicher oder empfohlener Quotensysteme zur Mindestzahl von Kandidaten gleichen Geschlechts, die auf Wahllisten aufgeführt werden können, und/oder einer Frauenquote im Gemeinderat, in der Kommunalverwaltung und in den einzelnen kommunalen Ausschüssen und Gremien.

  4.              Insbesondere in Bezug auf junge Menschen

i.            Weiterentwicklung der Schule zu einer wichtigen Plattform für die Beteiligung junger Menschen und für ihren demokratischen Lernprozess;

ii.             Förderung von „Kinderparlament“- und „Jugendparlament“-Initiativen auf kommunaler Ebene, die ein überaus zweckmäßiges Mittel zur Vermittlung staatsbürgerlicher Fähigkeiten auf kommunaler Ebene darstellen, und zwar zusätzlich zu sonstigen Möglichkeiten zum Dialog mit den jüngsten Mitgliedern der Gesellschaft;

iii.            Förderung von Jugendverbänden und insbesondere Förderung der Entwicklung flexibler Formen und Strukturen für die Mitarbeit in der Gemeinde, z.B. Jugendzentren, wobei die Fähigkeit junger Menschen zur selbstständigen Konzeption und Umsetzung von Projekten voll zu nutzen ist;

iv.            Prüfung der Absenkung des Mindestalters für die Stimmabgabe und für die Aufstellung als Kandidat bei Kommunalwahlen, örtlichen Volksentscheiden, Volksbefragungen und Volksbegehren;

v.             Prüfung der sonstigen Arten von Initiativen, die in der vom Kongress der Gemeinden und Regionen Europas 1992 verabschiedeten Europäischen Charta zur Beteiligung junger Menschen am kommunalen und regionalen Leben aufgeführt sind.

5.              Insbesondere in Bezug auf Ausländer die Förderung ihrer diskriminierungsfreien aktiven Beteiligung am Leben der Gemeinden durch Erfüllung der im Übereinkommen von 1992 über die Teilnahme von Ausländern am öffentlichen Leben der Gemeinden des Europarats enthaltenen Bestimmungen, auch wenn diese Bestimmungen für die Mitgliedstaaten nicht rechtsverbindlich sind, oder zumindest dadurch, dass aus den Mechanismen, die in diesem Übereinkommen genannt sind, weitere Anregungen bezogen werden.