Betreff: AW: Baufreigabe für Neubaustrecke Wendlingen Ulm fehlt seit 11 Monaten |
Von: <Andreas.Schwarz_MA1@gruene.landtag-bw.de> |
Datum: 14.09.2011 16:10 |
An: <walter.keim@gmail.com> |
Sehr geehrter Herr Keim,
vielen Dank für Ihre Mail an das Eisenbahnbundesamt vom 3.8.2011. Als
stellvertretender Fraktionsvorsitzender der GRÜNEN Landtagsfraktion
möchte ich Ihnen gerne unsere Position erläutern. Seien Sie versichert,
wir Grüne hier im Landtag versuchen auf parlamentarischem Wege alles
was möglich ist, um Stuttgart 21 nicht Realität werden zu lassen.
Wie
Sie sicher wissen ist die neue Landesregierung ist mit dem Ziel
angetreten, den Streit über Stuttgart 21 zu befrieden und die Spaltung
der Gesellschaft endlich zu überwinden.
Deshalb
hat sich die Landesregierung in ihrer Koalitionsvereinbarung auf ein
bundesweit einzigartiges Verfahren verständigt: Zunächst wurde der im
Schlichtungsverfahren unter Leitung von Herrn Dr. Heiner Geißler
vereinbarte Stresstest von der Landesregierung in einem transparenten
Verfahren kritisch überprüft.
Weil
die Deutsche Bahn AG weiterhin an der Realisierung von Stuttgart 21
festhält, wird die Landesregierung noch im September das S 21 –
Kündigungsgesetz in den Landtag einbringen.
Die
Fraktion der GRÜNEN unterstützt den Gesetzentwurf der Landesregierung
zur Ausübung von Kündigungsrechten aus der vertraglichen Vereinbarung
für das Bahnprojekt Stuttgart 21.
Wir
sehen auch weiterhin hinreichende verkehrliche und ökologische Gründe
für einen Ausstieg aus dem Finanzierungsvertrag auch unter
Berücksichtigung der Ergebnisse des Stresstestes sowie die Kosten und
Risiken. Es besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die im
Finanzierungsvertrag vorgesehene Kostenobergrenze von 4,526 Mrd. Euro
nicht zu halten ist.
Die
neue Landesregierung ist nicht bereit, sich an Mehrkosten darüber
hinaus zu beteiligen. Es ist davon auszugehen, dass die Deutsche Bahn
AG ihrerseits nicht bereit sein wird, alle weiteren Kostensteigerungen
allein zu finanzieren.
Damit
sind die Finanzierung des Vorhabens und seine Realisierbarkeit nicht
mehr gewährleistet. Somit entfallen die Geschäftsgrundlagen. Weshalb
dem Land ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar und ein
Kündigungsrecht nach § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG gegeben ist.
Die Begründung der GRÜNEN Mitglieder innerhalb der Landesregierung möchte ich wie folgt noch einmal zusammenfassen:
Die
Aussage, Stuttgart 21 führe zu einer deutlichen Verkürzung der Fahrzeit
ist zu relativieren. Lediglich auf der geplanten Neubaustrecke
Stuttgart/Ulm lassen sich die kommunizierten Fahrzeitgewinne von 20
Minuten realisieren. Die zusätzliche Beschleunigung im
Durchgangsbahnhof beträgt lediglich 1 - 3 Minuten. Im Regionalverkehr
ergeben sich durch Stuttgart 21 bestenfalls marginale
Fahrzeitverkürzungen.
Die
Investition ist nicht effizient, da die Netzwirkung gering ist und die
Summe aller Reisenden kaum Reisezeitgewinne hat. Ein integraler
Taktfahrplan ist mit dem geplanten Tiefbahnhof nicht realisierbar. Das
Ziel „gute Betriebsqualität“ (Premiumqualität) ist nach dem Testat der
SMA nicht erreicht. Beispiele dafür sind:
Es
ist mit erheblichen betrieblichen Einschränkungen zu rechnen
insbesondere durch die problematischen Doppelbelegungen, bei welchen
zwei Züge gleichzeitig auf einem Bahnsteiggleis halten.
Der
bestehende Kopfbahnhof verfügt über erhebliche Kapazitätsreserven und
hohe betriebliche Flexibilität, bei einer Modernisierung weit über
Stuttgart 21 hinaus.
Damit
ist das Ziel der deutlichen Leistungssteigerung durch Stuttgart 21
nicht erreicht. Der geplante Tiefbahnhof ist später kaum noch, und
wenn, dann nur unter extremen Kosten erweiterbar. Durch seine schlanke
Infrastruktur ist er sehr anfällig für Störfälle (z.B. liegengebliebene
Züge).
Für
die S-Bahn bringt Stuttgart 21 keine Vorteile, im Gegenteil, die
Betriebsqualität des Gesamtsystems der S-Bahn droht sich zu
verschlechtern.
Für die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene hat Stuttgart 21 gar keine Auswirkungen.
Die
beiden getrennten Bahnhöfe am Flughafen mindern den Nutzen der
Flughafenanbindung. Ferner liegen keine genehmigungsfähigen Planungen
vor.
Neben
den dargestellten Problempunkten spielen bei der heutigen Beurteilung
des Projekts Stuttgart 21 auch die ökologischen Nachteile und Risiken
eine herausragende Rolle, wie etwa die hoch umstrittenen Eingriffe in
den Schlossgarten oder die Gefährdung des Stuttgarter Mineralwassers.
Im
Rahmen des Schlichtungsverfahrens hat die Bahn Ausstiegskosten in Höhe
von 1,5 Mrd. Euro geltend gemacht. Ob bzw. in welcher Höhe sekundäre
Ersatzansprüche gegen das Land entstehen, steht derzeit nicht fest bzw.
kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden.
Der
Gesetzentwurf sieht nunmehr vor, dass die Landesregierung durch den
Gesetzgeber verpflichtet wird, von Kündigungsrechten bezüglich der
finanziellen Verpflichtungen des Landes Baden-Württemberg für das
Projekt Stuttgart 21 Gebrauch zu machen. Das Ziel ist, die
Mitfinanzierung des Bahnprojekts Stuttgart 21 durch das Land zu
beenden. An die Stelle der früheren Zustimmung des Gesetzgebers zu dem
Projekt tritt die Aufforderung durch den Gesetzgeber, sich von dem
Projekt zu lösen. Das Demokratieprinzip gebietet es, diese Entscheidung
zu berücksichtigen.
Sollte der Landtag das Kündigungsgesetz ablehnen, lassen wir das Volk über die Finanzierungsbeteiligung des Landes am Projekt Stuttgart 21 in einer Volksabstimmung nach Artikel 60 der Landesverfassung abstimmen.
Ziel
der Volksabstimmung ist es, zu einem abschließenden Urteil über die
Finanzierungsbeteiligung des Landes an Stuttgart 21 zu gelangen. Das
Volk hat bei der Volksabstimmung das letzte Wort. Diesen Willen wird
die neue Landesregierung – ganz unabhängig von ihrem Ausgang –
respektieren.
Bei
einer Beendigung des Bahnprojekts Stuttgart 21 müsste der bestehende
Kopfbahnhof modernisiert und zukunftsfähig an die Neubaustrecke nach
Ulm angeschlossen werden.
Der
Streit um das Projekt Stuttgart 21 spaltet nicht nur unser Land sondern
auch innerhalb der Landesregierung und der sie tragenden
Koalitionsparteien werden hierzu – wie Sie wissen - konträre Positionen
vertreten.
Abgesehen
davon gibt es in der juristischen Literatur Stimmen, welche die
Finanzierungsverträge zu Stuttgart 21 mehrheitlich wegen Verstoßes
gegen das Grundgesetz für verfassungswidrig und nichtig halten.
Diese
Auffassung wird durch das Rechtsgutachten von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans
Meyer vom 3. November 2010 zu finanzverfassungsrechtlichen Fragen des
Stuttgarter Bahnhofkonflikts gestützt. Bis heute wurden die Argumente,
welche für die Verfassungswidrigkeit der Finanzierungsverträge zu
Stuttgart 21 angeführt werden, nicht überzeugend entkräftet. Weil aber
insbesondere die Deutsche Bahn AG gleichwohl auf die Einhaltung der
Finanzierungsverträge zu Stuttgart 21 besteht, müsste die
Verfassungswidrigkeit zunächst gerichtlich und zwar letztinstanzlich
geklärt werden.
Andererseits
sind für die Teile der Landesregierung, die Stuttgart 21 ablehnen, die
rechtlichen Möglichkeiten, die Nichtigkeit der Finanzierungsverträge zu
Stuttgart 21 wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz selbst gerichtlich
geltend zu machen, gering. Weil vor dem Staatsgerichtshof
Baden-Württemberg grundsätzlich nur Streitigkeiten oder
Meinungsverschiedenheiten über die Vereinbarkeit mit der
Landesverfassung gerügt werden können, kommt ein Verfahren vor dem
Landesverfassungsgericht nicht in Betracht.
Eine
Anrufung des Bundesverfassungsgerichts erscheint im Ergebnis wenig
erfolgversprechend: Ein verfassungsrechtlicher Bund-Länder-Streit nach
Artikel 93 Abs. 1 Nr. 4 Grundgesetz scheidet aus, weil keine
Rechte und Pflichten aus einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis,
sondern allein aus einem öffentlichen-rechtlichen Vertragsverhältnis
streitig sind.
Bei
der Beantwortung der Frage, ob das Land zu keiner weiteren Finanzierung
von Stuttgart 21 verpflichtet werden und bereits Geleistetes
zurückfordern kann, geht es primär um eine einfachgesetzliche
Streitigkeit, die lediglich unter Beachtung von Verfassungsrecht zu
beurteilen ist.
Die
Aussichten, in dem daher allein in Betracht kommenden
nichtverfassungsrechtlichen Bund-Länder-Streitverfahren nach Artikel 93
Abs. 1 Nr. 4 Grundgesetz zu obsiegen, werden indes als gering erachtet.
Hinzu
kommt, dass das Land ein solches Verfahren vor dem
Bundesverfassungsgericht, aber auch eine verwaltungsgerichtliche
Leistungs- oder Feststellungsklage erst nach Fassung eines
entsprechenden Kabinettsbeschlusses erheben könnte.
Ein
Kabinettsbeschluss zur Anrufung eines Gerichts lässt sich aber
politisch nicht herbeiführen, weil innerhalb der Landesregierung und
der sie tragenden Koalitionsparteien zu Stuttgart 21 entgegengesetzte
Positionen vertreten werden.
Die
heftig umstrittene Frage nach der Verfassungsmäßigkeit bzw. –widrigkeit
der Finanzierungsverträge zu Stuttgart 21 kann unter dieser Prämisse
leider nicht letztinstanzlich gerichtlich geklärt werden.
Die
Landtagsfraktion der GRÜNEN wäre in einem nichtverfassungsrechtlichen
Bund-Länder-Streitverfahren vor dem BVerfG nicht parteifähig. Dies gilt
auch für die verwaltungsrechtlichen Klagearten, weil sie nicht
Vertragspartner der Finanzierungsverträge ist. Antragsbefugt wäre
allein die Landesregierung durch entsprechenden Kabinettsbeschuss.
Abschließend möchte ich Sie noch auf unsere aktuellen parlamentarischen Initiativen hinweisen:
a) http://www.landtag-bw.de/WP15/Drucksachen/0000/15_0216_d.pdf
b) http://www.landtag-bw.de/WP15/Drucksachen/0000/15_0096_d.pdf
c) http://www.landtag-bw.de/WP15/Drucksachen/0000/15_0272_d.pdf
d) http://www.landtag-bw.de/WP15/drucksachen/Txt/15_0289.pdf
e) http://www.landtag-bw.de/WP15/drucksachen/Txt/15_0367.pdf
f) http://www.landtag-bw.de/WP15/Drucksachen/0000/15_0365_d.pdf
g) http://www.landtag-bw.de/WP15/Drucksachen/0000/15_0299_d.pdf
h) http://www.landtag-bw.de/WP15/Drucksachen/0000/15_0097_d.pdf
Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne jederzeit zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Schwarz
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ANDREAS SCHWARZ
Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg
Stellv. Vorsitzender der Fraktion GRÜNE im Landtag von Baden-Württemberg
Vorsitzender des Arbeitskreises Verkehr und Infrastruktur
Konrad-Adenauer-Str. 12, 70173 Stuttgart, Telefon (0711) 2063-648
Persönliche Referentin: Carmen Tittel
andreas.schwarz_MA1@gruene.landtag-bw.de
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Von: Walter Keim [mailto:walter.keim@gmail.com]
Gesendet: Mittwoch, 3. August 2011 09:15
An: Eisenbahn-Bundesamt
Betreff: Baufreigabe für Neubaustrecke Wendlingen Ulm fehlt seit 11 Monaten
Die
parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes;
Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt, zu verfolgen, was politisch
geschieht, ist nicht möglich (BVerfGE 40, 296 <327>)
in English on same subject: http://wkeim.bplaced.net/files/foi-ccpr-de.htm
Einschreiben
Walter Keim, Email: walter.keim@gmail.com
Torshaugv. 2 C
N-7020 Trondheim, den 3. 8. 2011
Eisenbahn-Bundesamt
Heinemannstraße 6
D-53175 Bonn
Betreff: Sachstandsanfrage Freigabe der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm in finanzieller Hinsicht
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich
beziehe mich auf den Brief des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA)
vom 7.9.2010 das die Freigabe in finanzieller Hinsicht für die
Neubaustrecke Wendlingen Ulm nicht erteilt: "Aus der Erfahrung in
anderen Projekten ist nicht zu erwarten, dass derart hohe Mehrkosten
innerhalb der bestehenden Finanzierungsvereinbarung kompensiert werden
können." (Anlage 1)
Weiter
beziehe ich mich auf den Akteneinsichtsantrag vom 22.3.2011 in die
Baufreigabe für die Neubaustrecke. Ich kann nicht sehen eine Antwort
bekommen zu haben (Anlage 2).
Da
die Bahn AG zur Zeit die Bauaufträge für Stuttgart 21 vergibt und die
Neubaustrecke eine Vorraussetzung für Stuttgart 21 ist möchte ich heute
eine Sachstandsanfrage über das Vorliegen eines Antrages der Bahn
und eine eventuelle Baufreigabe stellen.
Dabei beziehe ich mich
auch auf den Bundesbeauftragten für Datenschutz und
Informationsfreiheit Schaar: "Die Kontroverse um Stuttgart 21
hätte sich sicher entschärfen lassen, wenn die relevanten Unterlagen
frühzeitig für jedermann zugänglich gemacht worden wären. Diese
Transparenz hätte den Vorwurf entkräftet, Stadt und Land würden mauern.
Auch Unterlagen des Eisenbahnbundesamtes sollten im Internet einsehbar
sein." Die Verwirklichung dieses Vorschlages würde diesen Antrag
überflüssig machen (Anlage 3).
Mit freundlichen Grüßen
Walter Keim
Anlagen:
--
Walter Keim
Netizen: http://sites.google.com/site/walterkeim/
5 German states violate the human right og freedom of information: http://wkeim.bplaced.net/files/ifg-5-laender-en.htm