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Bundesverfassungsgericht
Streit über gläserne Abgeordnete

Ein Streit im Bundesverfassungsgericht blockiert die Entscheidung über mehr Transparenz bei den Nebeneinkünften von Bundestagsabgeordneten. Nach FR-Informationen kann sich das Gericht nicht auf ein Urteil einigen.


Wieviel Transparenz muss sein? (dpa) Berlin - Bei einem Patt wäre die Klage abgewiesen, die mehrere Bundestagsabgeordnete angestrengt hatten, darunter Friedrich Merz (CDU), Max Straubinger (CSU), Hans-Joachim Otto (FDP) und Peter Danckert (SPD). Das wollen die Gegner der Regelung im Gericht offenbar verhindern.

Mehr als 100 Seiten umfasst der Entwurf, den Verfassungsrichter Siegfried Broß für das Urteil vorgelegt hat. Wie die Berliner Redaktion der FR erfuhr, soll es die rechtliche Stellung der Parlamentarier grundsätzlich regeln. Zerstritten sind die acht Richter des zweiten Senats unter Vorsitz von Winfried Hassemer jedoch offenbar über die Einschätzung der neuen Transparenzregeln. Danach müssen die Bundestagsabgeordneten genauer als bisher ihre Nebentätigkeiten und Nebenverdienste veröffentlichen. Unter anderem sollen die Bürger erfahren, ob sie aus anderen beruflichen Tätigkeiten mehr verdienen als ihre Diäten von rund 7000 Euro im Monat.

Wie es heißt, hält Richter Broß diese Einschränkung der Freiheit des Abgeordneten für hinnehmbar, weil sie für die Bürger mehr Transparenz herstelle und kein potenzieller Kandidat daran gehindert werde, sich um ein Mandat im Bundestag zu bewerben.

Problem für Freiberufler
Der Senatsvorsitzende Hassemer ist der gegenteiligen Auffassung: Weil von der Offenlegung, die von keinem anderen Bürger verlangt werde, besonders Freiberufler betroffen seien, werde diese Gruppe tendenziell von einer Kandidatur für das Parlament abgehalten. Damit werde der Gleichheitsgrundsatz verletzt und das allgemeine Wahlrecht beeinträchtigt.

Pikant daran: Hassemer wurde von der SPD nominiert, die die neuen Regelungen in der vorigen Wahlperiode mit den Grünen ausgearbeitet hatte, Broß von der CDU, die damals die Entscheidung der rot-grünen Koalition kritisiert hatte.

Keiner der beiden Richter konnte bislang mehr als drei Kollegen und damit eine Mehrheit des Senats für seine Position gewinnen. Der anhaltende Streit erklärt, warum der Spruch noch nicht ergangen ist. Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte im März 2006 auf die Veröffentlichung der Nebeneinkünfte und -Tätigkeiten nach den neuen Regeln verzichtet, weil er das Urteil aus Karlsruhe abwarten wollte. Es zeichne sich ab, dass die Richter eine zügige Entscheidung anstrebten hatte er damals erklärt.

Die Kontroverse hat nach Ansicht der Umweltschutzorganisation Greenpeace dazu beigetragen, dass die enge personelle Verflechtung zwischen Politik und Energiekonzernen nicht transparent ist. Greenpeace will heute ein "Schwarzbuch der Klimaschutzverhinderer" vorlegen. Der Report, der der FR vorab vorlag, listet unter anderem die Tätigkeit etlicher Abgeordneter in Aufsichts- und Beratergremien der Energiekonzerne auf. Die Umweltschützer fürchten dadurch Interessenkollisionen. Auch der Wechsel von Spitzenpolitikern in die Stromwirtschaft deute auf eine alarmierende Verflechtung hin.

T. Kröter/V. Gaserow


Copyright © FR-online.de 2007
Dokument erstellt am 18.04.2007 um 17:52:01 Uhr
Letzte Änderung am 19.04.2007 um 12:13:56 Uhr
Erscheinungsdatum 19.04.2007

 

Kommentar zum Verfassungsgericht

Unentschieden


Das Bundesverfassungsgericht tut sich schwer mit seiner Entscheidung über die neuen Transparenzregelungen das Bundestages. Ob und wie genau ein Abgeordneter seinen Wählern Rechenschaft schuldet, was er außerhalb des Parlaments tut, vor allem: was er bei wem verdient - diese Frage ist unter den Richtern in Karlruhe offenbar nicht weniger umstritten als in der Berliner Politik. Auch in der Vergangenheit hat es immer wieder Minderheitenvoten gegeben oder Entscheidungen, die durch Nicht-Einigung gefällt wurden. Wenn von den acht Richtern eines Senats vier die eine und vier die andere Auffassung vertreten, ist eine Verfassungsbeschwerde abgelehnt. Das ist ein Vorteil für den Gesetzgeber.

Der Zwang zur in manchen Fragen sogar Zwei-Drittel-Mehrheit stärkt darüber hinaus die Unabhängigkeit des höchsten Gerichts. Denn er stellt sicher, dass Entscheidungen nicht einfach entlang der Linie der parteipolitischen Provenienz der Richter ausrechenbar sind. Es wäre nicht schlecht, wenn die Unfähigkeit zur Einigung, die Demut der Herrschaften mit den roten Hüten erhöhte und die gelegentliche Hochnäsigkeit gegenüber der Politik mäßigte. Im konkreten Fall wäre ein Patt aus einem anderen Grund zu begrüßen: Dann könnten die neuen Veröffentlichungspflichten der Abgeordneten weitgehend verwirklicht werden. Und das wäre ein bescheidener Beitrag gegen die grassierende Politikverdrossenheit. Thomas Kröter


Bundesverfassungsgericht: Streit über gläserne Abgeordnete