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Frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht. (Präambel der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft)

Walter Keim
Torshaugv. 2 C
N-7020 Trondheim, den 22.09.2006

An den
Petitionsausschuss des 
Schleswig-Holsteinischen Landtages 
Landeshaus 
D-24105 Kiel 
  


Betreff: L141-16/633 Bürgerrecht Informationsfreiheit statt Rückgriff auf Mottenkiste mit mehr Amtsgeheimnis

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich beziehe mich auf das Petitionsrecht gemäß Artikel 17 GG und Artikel 19 der Verfassung von Schleswig-Holstein.

Die schwarz-rote Kieler Landesregierung musste sich auf einer Anhörung am 20.9.06 mit Recht scharfe Kritik an ihren umstrittenen Plänen zur Einschränkung des schleswig-holsteinischen Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) anhören.

Das Verhältnis zwischen Amtsgeheimnis und Informationsfreiheit ist im Wandel begriffen.

Die rechtliche Lage bezüglich der Informationsfreiheit vor der Verabschiedung von Informationsfreiheitsgesetzen gestaltete sich so:

Die Informationsfreiheit (Rezipientenfreiheit) ist im Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland garantiert (Art.5 Abs.1 S.1, 2.Hs GG).
"Allgemein zugänglich" sind dabei solche Informationsquellen, die
technisch geeignet und bestimmt sind, der Allgemeinheit Informationen zu verschaffen (BVerfGE 27, 71 - Leipziger Volkszeitung).

BVerfGE 103, 44 (61): "Legt der Gesetzgeber die Art der Zugänglichkeit
von staatlichen Vorgängen und damit zugleich das Ausmaß der Öffnung
dieser Informationsquelle fest, so wird in diesem Umfang zugleich der
Schutzbereich der Informationsfreiheit eröffnet."  Beispielsweise normiert
§ 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) für die ordentliche Gerichtsbarkeit
den Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit.

Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes und von 8 Bundesländern
schafft einen solches "Jedermannsrecht" auf vorraussetzungslosen Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung.

Die Verabschiedung von Informationsfreiheitsgesetzen bedeutet einen Paradigmenwechsel aus dem folgende neue Situation (aus Anlage 4: Seminararbeit zum Wandel von Amtsgeheimnis und Informationsfreiheit) entsteht:

"Wie bereits dargelegt begründet das Grundrecht auf Informationsfreiheit für sich genommen keinen Informationszugangsanspruch. Nur i. V. m. zusätzlichen rechtlichen Verpflichtungen amtlicher Stellen, Zugang zu bestimmten Informationsquellen zu gewähren, werden diese
Informationsquellen zu allgemein zugänglichen Quellen i. S. d. Art. 5 I
1, 2. Hs. GG. Verpflichtungen dieser Art sind insbesondere als
gesetzliche Konkretisierungen des Rechtsstaats- oder des
Demokratieprinzips denkbar (Vgl. BVerfGE 103, 44 (63 f.)). Als eine
ebensolche Ausformung ist die Verpflichtung zur Informationszugangsgewährung nach dem IFG anzusehen, womit eine
Verwehrung des Informationszugangsrechts durch eine verpflichtete Stelle
als Eingriff in das Grundrecht auf Informationsfreiheit zu qualifizieren
wäre" (Vgl. BVerfGE 103, 44 (61).).

Zusammenfassend ergibt sich folgendes Resultat: "Das IFG bedeutet die
Abkehr vom alten und morschen Grundsatz des allg. Amtsgeheimnisses,
das in Zeiten von Volksherrschaft und Informationsgesellschaft
einen krassen Anachronismus darstellte. Die Informations(zugangs)
freiheit ist die Grundlage der demokratischen Meinungsbildung und
das notwendige Gegenstück zur Meinungsfreiheit sowie zum Datenschutz".

Quelle: Zitiert aus Seminararbeit zum Wandel von Amtsgeheimnis und Informationsfreiheithttp://www.cloeser.org/pub/Amtsgeheimnis_und_Informationsfreiheit.pdf (Anlage 4)

Nachdem das IFG im Bund am 1.1.06 in Kraft trat verabschiedeten Hamburg (29.3.06), Bremen (11.5.06) und Mecklenburg-Vorpommern (27.6.06, Drucksache 4/2117) und das Saarland (12.7.06, Drucksache 13/758) Informationsfreiheitsgesetze.

Auch international ist die Informationsfreiheit schon lange auf dem Vormarsch und mehr als 70 Staaten haben inzwischen Informationsfreiheitsgesetze verabschiedet, mehr als die Hälfte mit zusätzlicher verfassungsmäßiger Verankerung. Ca. 40 Länder haben entsprechende Verfassungsartikel ohne gesetzliche Ausformung. Mehr als 80 Staaten haben also den Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung in der Verfassung verankert. Ca. 50 Staaten beraten Entwürfe für Informationsfreiheitsgesetze.

Die Informationsfreiheit (einschließlich des Zugangs zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung) ist Teil der Meinungsfreiheit und durch international anerkannte Menschenrechte speziell des Artikel 19 des Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR, BGBl. 1973 II S. 1534) geschützt. Diesem Pakt ist Deutschland beigetreten und ist dadurch Verpflichtungen eingegangen.

Die UN, OSZE und AOS bestätigten in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 6.12.2004, dass der Zugang zu amtlichen Dokumenten ein Menschenrecht ist:

The right to access information held by public authorities is a fundamental human right which should be given effect at the national level through comprehensive legislation (for example Freedom of Information Acts) based on the principle of maximum disclosure, establishing a presumption that all information is accessible subject only to a narrow system of exceptions.

Ich begrüße, dass die OSZE sich um die Informationsfreiheit in Europa kümmert und alle OSZE Staaten einschließlich Deutschland beobachten wird und 2006 einen Survey über die Informationsfreiheit durchführt (Anlage 1). Auch der Europarat hat im Zusammenhang mit einem Surveys über Informationsfreiheit Deutschland beobachtet (Anlage 2). Der Europarat hat außerdem die Empfehlung Rec (2002) 2 des Ministerausschusses an die Mitgliedstaaten zum Zugang zu amtlichen Dokumenten gegeben und arbeitet an einer bindenden Konvention über die Informationsfreiheit (Anlage 3).

Die von der Landesregierung vorgeschlagene Einschränkung des Bürger- und Menschenrechts Informationsfreiheit ist sowohl nationaler Rückschritt als auch gegen internationale Verpflichtungen gegenüber der VN, der OSZE z. B. bezüglich Prinzipien maximaler Einsicht und minimaler Ausnahmen. Auch die Empfehlungen Empfehlung Rec (2002) 2 des Europarates, die kommende bindende Konvention des Europarates und die kommende Agentur der Europäischen Union für Grundrechte nach COM(2005)280) stellen höhere Anforderungen.

Die Landesregierung folgt offenbar den Verwaltungen in aller Welt, die sich nicht gerne in die Karten schauen lassen und deshalb versuchen die allgemeine Akteneinsicht zu erschweren. Dabei wird das Grundrecht der Informationsfreiheit beschnitten zugunsten des überkommenen Amtsgeheimnisses. Ich beziehe mich auch auf mehr als 200 Jahre Erfahrung mit der Informationsfreiheit in Schweden. Die schwedische Verwaltung hat ihren Widerstand nicht aufgegeben. Das schwedische Parlament kommt deshalb zum Ergebnis, dass man streng sein muss: "Doch die Vorschriften sind so deutlich abgefasst, die Einsichtnahme des Ombudsmannes des Reichstags so streng und die Tradition so alt, dass diesem Widerstand im Ernstfall nicht nachgegeben wird". Wer die Machtfrage stellt, sollte sie von der Volksvertretung beantwortet bekommen.

Was hat die Landesverwaltung zu verbergen? Eines der wichtigsten Argumente für die Ausweitung der Transparenz staatlichen Handelns mit Hilfe der Informationsfreiheit ist das Vertrauen in den Staat zu stärken. In England zeigen Untersuchungen dass das erreicht wurde. Vorhandenes Misstrauen kann abgebaut werden.

Deshalb schlage ich vor, dass der Landtag hier eine bürgerfreundlicheres Gesetz beschließt, wie es von der SSW in Drucksache 16/82 vorgeschlagen wird. Auch in Schleswig-Holstein im Jahre 2000, im Land Berlin 1999, im Bund 2005 und zuletzt am 29.3.2006 durch die CDU Fraktion in Hamburg haben Parlamente eigene Gesetzentwürfe zur Informationsfreiheit verabschiedet und sind damit weiter als Regierungen gegangen, die keinen Entwurf ins Parlament einbrachten.

Mit freundlichen Grüßen

Walter Keim

Kopie: Fraktionen des Landtages

Anlagen:

  1. OSCE is monitoring access to public documents: http://wkeim.bplaced.net/files/osce-050106.htm
  2. Who invites the Human Right Commissioner to Germany?: http://wkeim.bplaced.net/files/coe-031128.htm
  3. Access Info Europe: Bindende Konvention für den Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung (Development of a Binding Treaty on the Right of Access to Official Documents): http://www.access-info.org/?id=12
  4. Seminararbeit zum Wandel von Amtsgeheimnis und Informationsfreiheithttp://www.cloeser.org/pub/Amtsgeheimnis_und_Informationsfreiheit.pdf
  5. Tabellarische Übersichten: Menschenrecht Informationsfreiheit im Bundesgesetzblatt (BGBl.): http://wkeim.bplaced.net/IFG.htm#Europarat 

Antwort:

 

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Anlage: Die Informationsfreiheit in Europa. Bild unten: Dunkelgrün: Informationsfreiheitsgesetz beschlossen. Hellgrün: Informationsfreiheit nur in Verfassung. Gelb: Gesetz in Vorbereitung. Access to Information Law = Informationsfreiheitsgesetz.