Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt, zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich (BVerfGE 40, 296 <327>)
in English on same subject http://wkeim.bplaced.net/files/ifg-5-laender-en.htm
Einschreiben
Walter Keim, Email: walter.keim@gmail.com
Torshaugv. 2 C
N-7020 Trondheim, den 21. 11. 2010
Eisenbahn-Bundesamt
Heinemannstraße 6
D-53175 Bonn
Betreff: Akteneinsicht in Gutachten "Neubewertung der Nutzen-Kosten-Analyse der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm"
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich beziehe mich auf das Informationsfreiheitsgesetz (5.9.05 BGBl. I S. 2722) und die Gebührenordnung (IFG-GebV, BGBl. 2006, I S. 6) und beantrage eine elektronische Kopie des Gutachtens "Neubewertung der Nutzen-Kosten-Analyse der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm". Um Kostenfreiheit zu erlangen (einfache schriftliche Auskunft gemäß Teil A unter 1.1 des Gebührenverzeichnisses) bevorzuge ich elektronische Zustellung.
Zusätzlich beantrage ich auch elektronische Akteneinsicht das Schreiben vom 7. September 2010 des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) an die DB Netz AG bezüglich des vorläufigen Stopps der Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm.
"Vorläufig keine Baufreigaben in finanzieller Hinsicht" berichtete der Stern am 17.11.2010. So heißt es in einem Schreiben vom 7. September 2010 des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) an die DB Netz AG. Es geht in dem Brief, der dem stern vorliegt, um das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 und die dazugehörende Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm. Das EBA, das die oberste Kontroll- und Sicherheitsbehörde in Sachen Eisenbahnwesen in Deutschland ist, zieht für die geplante Neubaustrecke die Notbremse (Anlage 9).
Der Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter wird in der Presse dahingenhend zitiert Teile des Inhalts des Gutachtens zu kennen und hat die Öffentlichkeit informiert. Bundeskanzlerin Merkel sagte: „Die Landtagswahl im nächsten Jahr, die wird genau die Befragung der Bürger über die Zukunft Baden-Württembergs, über ,Stuttgart 21‘ und viele andere Projekte sein“ . Um seine Macht als Wähler verantwortlich ausüben zu können muss der Souverän der Demokratie, der Bürger, Steuerzahler und Wähler wissen was Sache ist.
Zur Begründung dafür wird vom Bundesverfassungsgericht in BVerfG, 2 BvE 1/06 (Randnummer 271) angeführt:
"C.
I.
1. a) Der Status des Abgeordneten wird zuvörderst durch die im Wahlakt liegende Willensbetätigung jedes einzelnen Bürgers als Ursprung der Staatsgewalt in der Demokratie bestimmt (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Art. 38 Abs. 1 GG). Der Akt der Stimmabgabe bei Wahlen erfordert nicht nur Freiheit von Zwang und unzulässigem Druck, sondern auch, dass die Wähler Zugang zu den Informationen haben, die für ihre Entscheidung von Bedeutung sein können. Vielfältige Regelungen des Grundgesetzes (vgl. insbesondere Art. 5 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 Satz 4, Art. 42 Abs. 1, Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG) sind Ausprägungen des Grundsatzes der Öffentlichkeit politischer Herrschaft. Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt, zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich (BVerfGE 40, 296 <327>)."
Transparenz und das Bürger- und Menschenrecht Informationszugang sind also Voraussetzungen der Demokratie. Eines der wichtigsten Argumente für die Transparenz staatlichen Handelns mit Hilfe der Informationsfreiheit ist das Vertrauen in den Staat zu stärken. Bisher ist Deutschland ein Volk ohne Vertrauen: Vier von fünf Deutschen haben das Vertrauen in die Politik verloren (Die Welt: 12. März 2006, 00:00 Uhr Von Sabine Höher). Auch die Volksbewegung gegen Stuttgart 21 zeigt dies. Dieses Misstrauen kann durch vertrauensbildende Transparenz abgebaut werden wie z. B. Untersuchungen in England zeigen. Auch der Schlichter von Stuttgart 21 Heiner Geißler hat Offenheit und Transparenz vorgeschlagen und sich deutlich gegen Heimlichkeitskrämerei ausgesprochen.
Schon 1979 hat die Parlamentarischen Versammlung des Europarates in der Empfehlung Nr. 854 (1979) betr. den Zugang der Öffentlichkeit zu Regierungsunterlagen und die Informationsfreiheit die "Auffassung (vertreten), daß die Steuerzahler, d. h. die Öffentlichkeit im allgemeinen, die öffentlichen Mittel aufbringen und daß sie deshalb in der Lage sein müßten, herauszufinden, wie diese öffentlichen Mittel in den Regierungsbehörden und -stellen verwendet oder verschwendet werden."
Artikel 10 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EKMR) schützt die Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit (Anlage 1). Im Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion), Rechtssache Sdruženi Jihoceské Matky gegen Tschechische Republik, Antrag Nr. 19101/03 vom 10. Juli 2006 (Anlage 5) wurde "eine ausdrückliche und unleugbare Anerkennung der Anwendung von Artikel 10 im Falle einer Verweigerung eines Antrags auf Zugang zu öffentlichen oder behördlichen Dokumenten enthält". Auch die Rechtssache GERAGUYN KHORHURD PATGAMAVORAKAN AKUMB v. ARMENIA: Antrag Nr. 11721/04 vom 11. April 2006 (Anlage 6) bestätigt diese Rechtsprechung. Die Rechtssache EGMR Beschwerde Nr. 37374/05 TÁRSASÁG A SZABADSÁGJOGOKÉRT ./. Ungarn (Anlage 7) bestätigte das Menschenrecht auf Informationszugang. Artikel 46 (1) der EKMR lautet: "Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen."
Die Informationsfreiheit (einschließlich des Zugangs zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung) ist Teil der Meinungsfreiheit und auch durch international anerkannte Menschenrechte der VN speziell des Artikels 19 des Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR, BGBl. 1973 II S. 1534) geschützt, der nach Art. 59 (2) GG in ein Bundesgesetz transformiert wurde neben der Meinungsfreiheit die Freiheit "(sich) Informationen ... zu beschaffen" ("to seek information") enthält.
In ca. 50 Staaten ist der Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung in der Verfassung verankert (Anlage 8). Ca. 80 Staaten haben dieses Menschenrecht gesetzlich verankert (Anlage 4). Damit ist diese Menschenrecht in mehr als die Hälfte der Staaten in der Welt realisiert und das gemäß Art. 59 Abs. 2 GG Bestandteil des Bundesrechts ist.
Dies ist auch der Hintergrund, dass die UN, OSZE und AOS Sonderbeauftragten für den Schutz der Meinungsfreiheit in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 6.12.2004 bestätigen, dass die Informationsfreiheit ein Menschenrecht ist: (Anlage 1):
The right to access information held by public authorities is a fundamental human right which should be given effect at the national level through comprehensive legislation (for example Freedom of Information Acts) based on the principle of maximum disclosure, establishing a presumption that all information is accessible subject only to a narrow system of exceptions.
Die deutsche Verwaltung und der deutsche Rechtsanwender ist über Art. 20 Abs. 3 GG ("die vollziehende Gewalt und Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden") an die transformierten Vorschriften des Völkerrechts gebunden. Aus der Vorschrift folgt übrigens auch die Pflicht, sich mit Inhalt und Auslegung dieser Vorschriften vertraut zu machen. Gem. Art. 19 Abs. 4 GG steht außerdem jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Dies gilt nicht nur für Verletzungen der Grundrechte, sondern für alle in der deutschen Rechtsordnung geschützten Rechte. Somit erfasst die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG auch Fälle, in denen der Staat unmittelbar wirksame internationale Menschenrechtsnormen verletzt, die gem. Art. 59 Abs. 2 GG Bestandteil des innerstaatlichen Rechts sind.
Dies erstreckt sich nach der Entscheidung BVerfG 2 BvR 1481/04 des Verfassungsgerichtes (Punkt 3) auf alle staatlichen Organe: "Die Bindungswirkung einer Entscheidung des EGMR erstreckt sich auf alle staatlichen Organe und verpflichtet diese grundsätzlich, im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ohne Verstoß gegen die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) einen fortdauernden Konventionsverstoß zu beenden und einen konventionsgemäßen Zustand herzustellen." Dabei sind nicht nur einzelne Urteile, sondern die Rechtsprechung des EGMR einzubeziehen: "Sind für die Beurteilung eines Sachverhalts Entscheidungen des EGMR einschlägig, so sind grundsätzlich die vom Gerichtshof in seiner Abwägung berücksichtigten Aspekte auch in die verfassungsrechtliche Würdigung, namentlich die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehen."
Laut Artikel 1 (2) GG sind die "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (...) Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft". Ich hoffe das Eisenbahn-Bundesamt bietet die Gewähr dafür, sich jederzeit für das unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrecht auf Informationszugang einzusetzen.
Nachdem der Bundestagspräsident
am 22.12.04 meine
Petition über Informationsfreiheit
an
den Bundeskanzler zur Berücksichtigung übersandt hat (Anlage 2) wurde vom
Bundestag ein Informationsfreiheitsgesetz beschlossen, obwohl die
Bundesregierung dagegen war. Danach waren 12
Petitionen an
Bundesländer ohne Informationsfreiheitsgesetze (Anlage 3)
zu schreiben. Sowohl Hamburg (am 29.3.06) als auch
Bremen (11.5.06), Saarland
(Drucksache
13/758, 1.2.06), Mecklenburg-Vorpommern,
Thüringen und Rheinland-Pfalz
haben Informationsfreiheitsgesetze verabschiedet. Allerdings fehlen noch 5 Bundesländer.
Neben der gesetzlichen Verankerung durch Informationsfreiheitsgesetze haben auch der Artikels 19 des Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR, BGBl. 1973 II S. 1534). Artikel 10 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte mit einfachgesetzlichen Charakter den Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung zu "Allgemein zugänglichen" Informationsquellen (Artikel 5 (1) GG) gemacht.
Eine positive Antwort auf dieses Schreiben kann deshalb auf Bürger- und Menschenrechte der zivilisierten Welt und die Zukunft vorbereiten. Für einen entschlossenen Bürger im europäischen Raum der Freiheit ist nicht nachvollziehbar warum das nicht gelten soll, da ja auch § 29 des Verwaltungsgesetzes die Akteneinsicht sichert. Weltweit kommt die Verwaltungstransparenz bisher in mehr als 90 Staaten mit mehr als ca. 5,5 Milliarden Menschen in Europa, (Nord- und Mittel-)Amerika, Australien, und Asien (Japan, Indien, Indonesien, China) zugute. In Europa fehlt die Verwaltungstransparenz im Wesentlichen nur in Weißrussland und 5 deutschen Bundesländern.
Laut Artikel 1 (2) GG sind die "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (...) Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft", was ich bei der Frage der Einsichtsgewährung bitte zu berücksichtigen. § 46 der Konvention für Menschenrechte lautet "Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen." Damit ist das Menschenrecht des Zugang zu Informationen der öffentlichen Verwaltung auch in Deutschland juristisch durchsetzbar.
Mit freundlichen Grüßen
Walter Keim
Kopie: Deutscher Presserat (Ist der Handlungsbedarf zu übersehen?), Bundeskanzleramt, Fraktionen im Bundestag, Schlichter Heiner Geißler, MdB Anton Hofreiter, MdB Winfried Hermann, Landtag Baden-Württemberg und Kopfbahnhof 21
Anlage:
Im Internet publiziert:
Entwicklung:
Organisation | Name mit Link | Über- setzung |
Generalversammlung, 10.12. 1948 | Allgemeine Erklärung der Menschenrechte: Artikel 19: ...Freiheit ... "Informationen (...) zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten." | English |
Vereinte Nationen, 1966 | Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. (BGBl. 1973 II S. 1534) Artikel 19: Freiheit ... "Informationen (...) sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben." | English |
Europa UNECE, 1998 | United Nations Economic Commission for Europe: Umweltschutz: Die Aarhus Konvention: http://www.unece.org/env/pp/acig.htm | English |
COMMISSION ON HUMAN RIGHTS, 1998 | E/CN.4/1998/40, 28 January 1998: Promotion and protection of the right to freedom of opinion and expression Report of the Special Rapporteur, Mr. Abid Hussain, submitted pursuant to Commission on Human Rights resolution 1997/26: III A | |
COMMISSION ON HUMAN RIGHTS, 2000 | E/CN.4/2000/63, 18 January 2000: Report of the Special Rapporteur on the promotion and protection of the right to freedom of opinion and expression, Mr. Abid Hussain, submitted in accordance with Commission resolution 1999/36: III B | |
UN Special Rapporteur, 2004 | 6. Dezember 2004: Gemeinsame Erklärung der drei Sonderbeauftragten für den Schutz der Meinungsfreiheit der UN-Sonderberichterstatter für freie Meinungsäußerung, der OSZE-Vertreter für Medienfreiheit und der OAS-Sonderberichterstatter für freie Meinungsäußerung: Zugang zu Informationen der Behörden ist ein fundamentales Menschenrecht | English |
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Anlage: Süddeutschland der Schandfleck bezüglich der Informationsfreiheit in Europa. Bild unten: Dunkelgrün: Informationsfreiheitsgesetz beschlossen. Hellgrün: Informationsfreiheit nur in Verfassung. Gelb: Gesetz in Vorbereitung. Access to Information Law = Informationsfreiheitsgesetz.