Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt, zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich (BVerfGE 40, 296 <327>)

Zugang zu Informationen der Behörden ist ein fundamentales Menschenrecht, das auf nationaler Ebene durch eine umfassende Gesetzgebung gewährleistet sein muss, die auf dem Prinzip der größtmöglichen Offenlegung basiert".
UN, OSZE und OAS Sonderbeauftragte für den Schutz der Meinungsfreiheit 2004


Englishin English on same subject: http://wkeim.bplaced.net/files/ifg-5-laender-en.htm

Walter Keim, Email: walter.keim@gmail.com
Almbergskleiva 64
NO-6657 Rindal, den 29.3.2014

Fraktionen im
Landtag von Baden-Württemberg
Haus des Landtages
Konrad Adenauer Str. 3
D-70173 Stuttgart

Kopie: Landespressekonferenz, Innenminister Gall, Ministerpräsident Kretschmann, Deutsche Liga für Menschenrechte e.V., Internationale Liga für Menschenrechte, Amnesty und das Deutsche Institut für Menschenrechte

Betreff: IFG in Baden-Württemberg: 3 Jahre warten auf einen Ladenhüter? 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Presse berichtet, dass Innenminister Reinhold Gall (SPD) dem Kabinett im Februar Eckpunkte für ein Informationsfreiheitsgesetz vorstellte. 

Gall hatte zuletzt darauf verwiesen, dass er erst die Evaluation des Gesetzes auf Bundesebene und die ersten Erfahrungen anderer Bundesländer abwarten wolle. Nach den Worten von Finanzminister Nils Schmid (SPD) wird sich das baden-württembergische Gesetz "im Mainstream" der Gesetze von Bund und Ländern bewegen.

Allerdings wurde die "Evaluation des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes schon am 22.5.2012 abgeschlossen. In anderen Bundesländern liegen Erfahrungen in Brandenburg schon seit 1998 vor. Weltweit aus Schweden schon seit 1766 und nun in 100 Staaten.

Hier handelt es sich also um faule Ausreden. Nach gewonnener Wahl im Frühjahr 2011 sollten die Bürger Baden-Württembergs „schon bald umfassenden Einblick in Verwaltungsvorgänge“ bekommen (Anlage D). Grüne und SPD wollten das im Koalitionsvertrag vorgesehene Informationsfreiheitsgesetz (IFG) „rasch“ im Jahre 2011 auf den Weg bringen.

Besonders enttäuschend ist das Fehlen der proaktiven Veröffentlichungspflicht. In Hamburg hat das Bündnis "Transparenz schafft Vertrauen" eine Volksinitiative auf den Weg gebracht, die von der Bürgerschaft weitgehend übernommen wurde und ein sehr fortschrittliches Transparenzgesetz mit proaktiven Veröffentlichungen durchgesetzte. Auch in NRW, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Bremen und Bayern gibt er ähnliche Bestrebungen für Transparenzgesetze.

Das Innenministerium beantwortete die Akteneinsicht unter Hinweis auf den Menschenrechtscharakter des Informationszugangs zur Petition 15/2078 für ein IFG (Anlage 1) am 23.5.2013 (Anlage 2) im Wesentlichen so:

"Nach Prüfung ihrer Ausführungen besteht nach derzeitiger Rechtslage in Baden-Württemberg kein Rechtsanspruch auf Übersendung der von Ihnen erbetene Stellungnahme."

Damit wird der Menschenrechtscharakter des Zugangs zu amtlichen Dokumenten aufgrund Artikel 10 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EKMR) und Artikel 19 (2) Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) bestritten.

Der Zugang zu Dokumenten der öffentlichen Verwaltung ist nun ein anerkanntes Menschenrecht gemäß Zivilpakt [6, 9, 10, 13] und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [11] aufgrund der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EKMR) [7, 16], wird international als Voraussetzung für die Demokratie angesehen und ist wichtig im Kampf gegen Korruption [12]. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (25.6.2013): CASE OF YOUTH INITIATIVE FOR HUMAN RIGHTS v. SERBIA (Application no. 48135/06) nimmt Bezug auf den Zivilpakt und gemeinsame Erklärung der UN, OSZE und AOS Sonderbeauftragten für den Schutz der Meinungsfreiheit vom 6.12.2004 [14].

Am 13.03.2014 [17] wurde Verfassungsbeschwerde gegen das Fehlen des Menschenrechts des Informationszugangs in Bayern eingelegt.

Von der Zivilgesellschaft (E) wurde am 6.6.2013 von Netzwerk Recherche der  Gesetzentwurf für ein Transparenzgesetz für Baden-Württemberg präsentiert (Anlage 3). Die österreichische Initiative Transparenzgesetz.at wird sowohl von der Österreichischen Liga für Menschenrechte, Amnesty Österreich als auch dem Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte unterstützt. Deshalb geht eine Kopie dieses Briefes auch an die Deutsche Liga für Menschenrechte e.V., Internationale Liga für Menschenrechte, Amnesty und das Deutsche Institut für Menschenrechte (Anlage 4).

Legt man internationale Mindeststandards maximaler Offenheit, rascher Antwort und geringer Kosten beim Menschenrecht Informationszugang zugrunde haben 88 Saaten mit ca. 5,5 Milliarden, d. h. 78 % der Bürger auf der Welt haben ein besseres Informationsfreiheitsgesetz als deutsche Bürger im Bund (http://www.rti-rating.org/country-data/). Deshalb ist für den Vorschlag eines IFG für Baden-Württemberg eine Orientierung am Mainstream nicht zielführend. Das reicht nur für eine Schlusslichtposition international.

In Norwegen werden schnelle kostenlose Antworten so umgesetzt:

125 Staaten (https://www.rti-rating.org/country-data/) mit mehr als 5,9 Milliarden Einwohnern, d. h. 84% der Weltbevölkerung haben entweder Informationsfreiheitsgesetze oder entsprechende Verfassungsbestimmungen und damit bessere generelle Einsichtsrechte (über den Anwendungsbereich von Verbraucherinformation und Umweltinformation hinaus) als Baden-Württemberg.

Laut Artikel 1 (2) GG sind die "unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (...) Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft", was ich bei der Erarbeitung eines IFG bitte zu berücksichtigen. Ich fordere die Regierung zum Mut auf das zu realisieren und dass der Landtag dies erst nimmt und dem Innenministerium Baden-Württemberg auf die Sprünge hilft.

Mit freundlichen Grüßen

Walter Keim

Kopie: Landespressekonferenz, Deutscher Presserat (Ist der Handlungsbedarf zu übersehen?), 4 Bundesländer ohne Informationsfreiheitsgesetze, Fraktionen Landtag Baden-Württemberg

Anlagen:

  1. 07.05.2013: Akteneinsicht in die Antwort des Innenministeriums auf Petition 15/2078: http://wkeim.bplaced.net/files/ifg-einsicht-bw2.html
  2. Innenministerium gewährt Akteneinsicht, lehnt Menschenrecht Zugang zu amtlichen Dokumenten ab: http://wkeim.bplaced.net/files/130623bw.pdf
  3. 06.06.2013: Informationsfreiheit: Netzwerk Recherche präsentiert Gesetzentwurf für Baden-Württemberg. Abschied vom Amtsgeheimnis ist auch in Baden-Württemberg überfällighttp://www.netzwerkrecherche.de/Projekte/Infofreiheitsgesetz-IFG/Transparenzgesetz-Baden-Wuerttemberg/
  4. 12.09.2013: Österreichisches Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte unterstützt Transparenzgesetz: http://wkeim.bplaced.net/files/if-dimr.html
  5. 21.03.2013: An den Ministerpräsident von Baden-Württemberg: Mut und Wille zum Informationsfreiheitsgesetz um Glaubwürdigkeit zu stärken: http://wkeim.bplaced.net/files/130321bw.html
  6. Zugang zu amtlichen Dokumenten ist ein Menschenrecht der VN: https://www.right2info.org/international-standards#section-1
  7. Zugang zu amtlichen Dokumenten in Europäischer Konvention für Menschenrechte: https://www.right2info.org/international-standards#section-5
  8. Gemeinsame Erklärung 2004 der drei Sonderbeauftragten von UN, OSZE und AOS für den Schutz der Meinungsfreiheit: http://merlin.obs.coe.int/iris/2005/2/article1
  9. "General Comment No. 34 on Article 19 of the ICCPR" (Internationaler Paktes über bürgerliche und politische Rechte, Zivilpakt): http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/comments.htm (Deutsch: http://merlin.obs.coe.int/iris/2011/10/article1)
  10. Klagen bei den VN gegen Staaten, die gegen das Menschenrecht des Zugangs zu amtlichen Dokumenten verstoßen: http://right2info.org/cases#section-6
  11. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte: http://right2info.org/cases#section-2
  12. OSZE, April 2012: COMMENTS ON THE DRAFT LAW ON TRANSPARENCY, ACCESS TO INFORMATION AND GOOD GOVERNANCE OF SPAIN: http://www.osce.org/fom/89577
  13. Allgemeine Kommentar (Nr. 34) des Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen am 21. Juli 2011 zu Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR): http://merlin.obs.coe.int/iris/2011/10/article1 (Das Recht auf Zugang zu behördlichen Informationen wird detailliert betrachtet; um diesem Recht Nachdruck zu verleihen, werden Staaten ermutigt, „staatliche Informationen von öffentlichem Interesse proaktiv öffentlich zu machen“. Staaten sollten ebenfalls „alle Anstrengungen unternehmen, einen einfachen, schnellen, effektiven und praktikablen Zugang zu solchen Informationen sicherzustellen (z. B. mit Hilfe von Informationsfreiheitsgesetzen)“.)
  14. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (25.6.2013): CASE OF YOUTH INITIATIVE FOR HUMAN RIGHTS v. SERBIA (Application no. 48135/06) nimmt Bezug auf den Zivilpakt und gemeinsame Erklärung der UN, OSZE und AOS Sonderbeauftragten für den Schutz der Meinungsfreiheit vom 6.12.2004: http://merlin.obs.coe.int/iris/2013/8/article1
  15. Partsch, Christoph, Die Entwicklung eines presserechtlichen Auskunftsanspruchs in der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 EMRK, AFP 2013, 214-215 und NJW Heft 39/2013
  16. Öffentliche Anhörung Evaluierung Informationsfreiheitsgesetz (24.09.2012): Dr. Christoph Partsch, Deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit e. V., Berlin - Ausschussdrucksache 17(4)573 C
  17. 13.03.2014: Verfassungsbeschwerde gegen das Fehlen des Menschenrechts des Informationszugangs in Bayern. http://wkeim.bplaced.net/files/vgh-1403.htm

Antworten:

Anlagen im Internet publiziert:
  1. Pressemitteilung des Europarates 11.7.07: Bericht des Menschenrechtskommissars Thomas Hammarberg über seinen Besuch in Deutschland 9. – 11. und 15. – 20. Oktober 2006: http://wkeim.bplaced.net/files/Bericht-des-Menschenrechtskommissars.html, https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?Ref=CommDH(2007)14&Language=lanGerman  Deutsche Institut für Menschenrechte mit der Beobachtung der Menschenrechte in Deutschland beauftragen, nationalen "Aktionsplan Menschenrechte" entwickeln.
  2. Tabellarische Übersichten: Menschenrecht Informationszugangsfreiheit im Bundesgesetzblatt (BGBl.): http://wkeim.bplaced.net/IFG.htm#Europarat
  3. 25.02.2012: Brief an den Menschenrechtskommissar des Europarates über Ablehnung seiner Vorschläge durch Petitionsausschüsse: http://wkeim.bplaced.net/coe_resultat.ht
  4. MdL Sckerl kündigt 07.07.2011 an, dass noch 2011 ein Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht wird.
  5. Ole Reißmann (06.06.2013): Baden-Württemberg: Journalisten schreiben Transparenzgesetz ("gesellschaftliche Notwehr"): http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/baden-wuerttemberg-soll-transparenter-werden-a-904082.html

Internet:



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Anlage: Süddeutschland der Schandfleck bezüglich der Informationsfreiheit in Europa. Bild unten: Dunkelgrün: Informationsfreiheitsgesetz beschlossen. Hellgrün: Informationsfreiheit nur in Verfassung. Gelb: Gesetz in Vorbereitung. Access to Information Law = Informationsfreiheitsgesetz.

Informationsfreiheitgesetze in Europa

 

Informationsfreiheit in Europa

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